Über die Qualität einer Übersetzung respektive eines Translats herrschen oft widersprüchliche Meinungen. Selbst Experten vertreten bei der Bewertung einer Übersetzung häufig unterschiedliche Meinungen. Gibt es überhaupt grundlegende Merkmale für die Güte einer Übersetzung? Was sind oder können Kriterien sein, und wie müssen wir diese an- und verwenden?
In der Veranstaltung lernen und diskutieren wir die unterschiedlichen Sichten und analysieren diese eingehend, um schließlich zu einem praktikablen Bewertungskatalog zu kommen.
Neben unterschiedlichen Texttypen, Sprachregistern und Inhaltsquellen aus verschiedenen Bereichen wie technische Dokumentation, soziale Netzwerke und Medien, Marketing, etc. betrachten wir zusätzlich Aspekte der maschinellen Translation (MT). Die MT wird zukünftig einen wesentlichen Beitrag im Translationsmarkt leisten (müssen), da nur so die täglichen Anforderungen an die multilinguale Verfügbarkeit von Sprachprodukten erfüllt werden können.
Einen ersten Einblick in den Facettenreichtum des Themas gibt Ihnen das folgende Beispiel. Aus dem gerade veröffentlichten internationalen Standard ISO/TS 11669:2012 (Translation Projects - General guidance) lassen sich fünf Aspekte für die Bewertung der Qualität einer Übersetzung extrahieren:
1. Transzendente Qualität, bewertet die allgemeine sprachliche Treffsicherheit und Kompetenz eines Translats [en: TRANSCENDENT QUALITY].
2. Fertigungsqualität (auch Erstellungs- oder Herstellungsqualität), überprüft die Compliance eines Translats hinsichtlich verabredeter Spezifikationen [en: MANUFACTURING QUALITY].
3. (End-)Nutzerqualität, testet die Zufriedenheit eines/des Nutzers mit dem Translat [en: USER QUALITY].
4. Wertschöpfungsqualität, berechnet das Preis-/Leistungsverhältnis eines Translats aufgrund gegebener Absprachen [en: VALUE QUALITY].
5. Soziale Qualität, stellt die gesellschaftliche respektive die politische Korrektheit eines Translats fest [en: SOCIAL QUALITY].
Dem gegenüber stehen die linguistisch geprägten Qualitäts- und Bewertungskriterien, die in den Translationswissenschaften im letzten Jahrhundert von Christiane Nord (Textsortenkonventionen und W-Fragen), Katharina Reiß und Hans Vermeer (Skopos-Theorie) sowie Justa Holz-Mänttäri (translatorisches Handeln auf der Grundlage eines Übersetzungsauftrags als Erweiterung der Skopos-Theorie) entwickelt wurden.
Einfluss auf die Entwicklung von Qualitätskriterien hat aber auch das sich im letzten Jahrhundert sehr stark entwickelnde neue Feld der Sprachphilosophie mit Vertretern wie Wittgenstein und Davidson für ein regelhaftes Verstehen und Interpretieren und Heidegger und Gadamer für einen hermeneutisch orientierten Ansatz sowie Vertretern der Biosemantik wie Millikan für ein eher „biologisches” Sprachverständnis. Obwohl ein Brückenschlag zwischen wissenschaftlichen Theorien (Translations- und Sprachphilosophie) und industriellen Anwendungen (Lokalisierung) und Standardisierungen wie dem zitierten ISO-Standard 11669 nicht augenfällig ist, gelingt uns dieser Brückenschlag mit den Arbeiten von Ruth G. Millikan sogar für die maschinelle Übersetzung und insbesondere für die statistische maschinelle Übersetzung, die sich bei praxisnahen Bewertungskriterien bisher im allgemeinen weniger erfolgreich präsentierte.
Neben den formalen Grundlagen werden jeweils anschauliche Beispiele aus verschiedenen Bereichen und mit unterschiedlichen Sichten der Translatnutzung vorgestellt und diskutiert. Dabei werden auch die klassischen Methoden der Übersetzungsbewertung und Übersetzungskritik berücksichtigt, kritisch analysiert und auf Übertragbarkeit untersucht.
Die Referatsthemen werden zum Beginn des Wintersemester veröffentlicht respektive im Seminar vorgestellt.
Neben translatorischem Grundwissen (Theorie und Praxis) wird von Ihnen erwartet, dass Sie aufgeschlossen gegenüber Neuem und Unbekanntem sind. Auch sollten Sie mit der Nutzung des World Wide Web sowie sozialer Netzwerke und Medien vertraut sein.